Das Projekt greift innerhalb des Feldes der Agrar- und Ernährungsgeschichte den wissenshistorischen Ansatz auf und sucht am Beispiel der Sojabohne, die Erzeugung, Zirkulation und Aneignung von Experten- und Alltagswissen innerhalb der agrarisch-industriellen Wissensgesellschaft in Österreich von etwa 1870 bis 1950 nachzuzeichnen. Die ostasiatische Kulturpflanze dient dabei als Prisma, um Verwissenschaftlichungs- und Innovationsprozesse als Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft historisch zu hinterfragen.
Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kannten Europäer*innen die Sojabohne nur im Kontext botanischer Gärten und landwirtschaftlicher Experimente. Der hohe Nährwert und das ökonomische Potenzial blieben lange Zeit ungenutzt. Die ostasiatische Hülsenfrucht konnte sich im Westen erst schrittweise Anfang des 20. Jahrhunderts außerhalb landwirtschaftlicher Versuchsanstalten durchsetzen. In der Habsburgermonarchie führte der Wiener Botaniker Friedrich Haberlandt in den 1870er-Jahren erste Akklimatisierungsversuche mit der Sojabohne durch. Er sah in ihr einen möglichen Beitrag zur Sicherung der „Volksernährung“. Nach einem ersten Abflachen des öffentlichen Interesses wurde der ernährungsphysiologische Nutzen von Soja während des Ersten Weltkrieges und besonders in der Zwischenkriegszeit erneut diskutiert. Erste Versuche der Kommerzialisierung wurden unternommen und mit Übernahme des NS-Regimes politisch unterstützt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand Soja allerdings wieder von den Tellern und aus der Landwirtschaft. Untersucht wird die Frage, wieso sich Soja trotz Perioden intensiver wissenschaftlicher und öffentlicher Auseinandersetzung bis 1950 nicht in Österreich festsetzen konnte.
Die Arbeit stützt sich auf die Methoden der historischen Diskursanalyse, der Akteur-Netzwerk-Theorie und der Commodity-Chain-Analysis. Primär geht es um die systematische Erfassung und Analyse des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses rund um die Sojabohne; von der Rezeption der ersten Feldversuche und deren Ergebnisse über die Bewertung der verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten bis zur gezielten Aneignung des generierten Wissens durch politisch-, sozial- und ökonomisch-motivierte Gruppierungen.
e-Mail: maximilian.martsch@ruralhistory.at
Institut für Geschichte des ländlichen Raumes/St. Pölten; Johannes Kepler Universität Linz
Projektfinanzierung: Science Call der NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB); Kommission für Interdisziplinäre Ökologische Studien (KIÖS)
Betreuer der Dissertation: Ernst Langthaler