Der spätmittelalterliche Fürst war, wollte er erfolgreich sein, auf hohe Einkünfte angewiesen. Die Ausgaben für Krieg und Verteidigung, Verwaltungsintensivierung und Landesausbau, Repräsentation und Versorgung überstiegen schnell die traditionellen Einnahmen aus Grund- und Gerichtsherrschaft. Infolge der Monetarisierung verloren Naturaleinkünfte gegenüber Geldeinnahmen an Bedeutung. Der Herrscher konnte in dieser misslichen Lage mit einer rigiden Sparpolitik, Schuldenwirtschaft oder Einnahmenoptimierung reagieren. Die allermeisten Fürsten entschieden sich für die letztgenannten Optionen. Allerdings waren Darlehen von der Kreditwürdigkeit abhängig, die ihrerseits von den verfügbaren Sicherheiten – meist Einkünften – abhing. Wer im spätmittelalterlichen Machtkampf der Fürsten bestehen wollte, brauchte also in erster Linie eines: möglichst hohe Geldeinnahmen.
Die Bedeutung spätmittelalterlicher Fürstenfinanzen für die politische und wirtschaftliche Geschichte, aber auch für die Genese des modernen Staates, wurde schon früh erkannt. Nichtsdestotrotz beschränkten sich entsprechende Forschungen zu mitteleuropäischen Territorialfürsten bislang entweder auf kurze Untersuchungszeiträume, Einzelaspekte oder die Finanzverwaltung, ohne die Einnahmen und Ausgaben längerfristig quantitativ zu erfassen und zu analysieren. Ebenso spärlich gesät sind länderübergreifende Vergleiche, die Aufschluss über europäische Gemeinsamkeiten und Divergenzen im Bereich der Fürstenfinanzen geben könnten.
Im Rahmen des hier vorzustellenden Disserationsprojekts werden die Wechselwirkungen zwischen landesfürstlichen Einnahmen, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft am Beispiel der Grafschaft Tirol zwischen ca. 1300 und 1490 analysiert. Ein Vergleich mit den Finanzen der Grafen von Flandern lenkt den Blick auf größere, europäische Zusammenhänge und lässt lokale Besonderheiten umso deutlicher hervortreten.
Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie und warum veränderten sich die Einnahmen der Grafen von Tirol im 14. und 15. Jahrhundert im Vergleich zu den Einnahmen der Grafen von Flandern?
In der Analyse geht es sowohl um die Höhe der fürstlichen Einnahmen als auch um deren Zusammensetzung. Insbesondere der Anteil der Steuern lässt Rückschlüsse auf die damalige Entwicklung der Staatlichkeit – zwischen Domänen- und Steuerstaat – in Tirol und Flandern zu. Veränderungen werden unter Einbeziehung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und naturräumlichen Rahmenbedingungen erklärt, wobei besonderes Augenmerk auf Strategien und Maßnahmen zur Einnahmenoptimierung gelegt wird. Im Vergleich zwischen Tirol und Flandern wird die wirtschaftliche Vorreiterrolle Nordwesteuropas hinterfragt und untersucht, ob im Bereich der landesfürstlichen Finanzen und ihrer Optimierung Unterschiede oder Gemeinsamkeiten überwiegen.
Hauptquellen sind einerseits die Tiroler Raitbücher, deren Überlieferung 1288 einsetzt und ungewöhnlich umfassend ist, andererseits die Bestände der flämischen Rechenkammer, die heute in Brüssel und Lille lagern. Das Zahlenmaterial wird mittels Datenbankprogrammen digital erfasst und ausgewertet. Die Länge des Untersuchungszeitraums und der Umfang der Quellenbestände erfordern eine Konzentration auf Stichproben im Abstand von je ca. 20 Jahren.
Methodisch konzipiert ist die Arbeit als interzeitliche und interräumliche komparative Langzeitstudie, in der quantitative und qualitative Analyse kombiniert werden.
Spätmittelalterliche Fürstenfinanzen sind – gemessen an ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Dynastien, Herrschaften, Ländern und Staaten – vor allem für Mitteleuropa suboptimal erforscht. Die hier skizzierte Dissertation soll dazu beitragen, die Wechselwirkungen von Geld und Macht im spätmittelalterlichen Europa der Territorialfürstentümer besser zu verstehen.
e-mail: lienhard.thaler@univie.ac.at