Dissertationen

Der defensor civitatis im spätantiken Ägypten nach den dokumentarischen und normativen Quellen

Mag. Markus Resel

Die Arbeit soll eine Forschungslücke in der Sozial-, Rechts- und Institutionen-geschichte der Spätantike schließen. Sie knüpft inhaltlich und organisatorisch an das - vom FWF finanzierte und von 2009 bis 2015 laufende - NFN Imperium and Officium an. Das Dissertationsprojekt nimmt von der verfügbaren papyrologischen, epigra-
phischen, juristischen und literarischen Evidenz zum spätantiken Amt des defensor civitatis (griech. syndikos oder ekdikos) als Teil der spätrömischen Administration in Ägypten seinen Ausgang. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit Einrichtung der Stadträte in den ägyptischen Metropolen durch Septimius Severus um das Jahr 200 n. Chr. und endet mit der arabischen Eroberung Ägyptens in den Jahren 641/2 n. Chr. bzw. mit den letzten Erwähnungen dieser Amtsträger in früharabischer Zeit. Aufgrund der spezifischen Funktionen, die Amtsträger mit den Bezeichnungen defensor civitatis, syndikos und ekdikos im Laufe der Jahrhunderte übernommen haben, können als vorläufige Gliederung folgende Phasen (nach Kramer 1990) definiert werden, wenngleich auch innerhalb dieser einzelnen Phasen verschiedene Entwicklungsstufen und Reformschritte unterschieden werden müssen:

- Die städtischen syndikoi als Vertreter des Stadtrats (in Ägypten ca. 222/235 bis
  326 n. Chr. belegt, in anderen griechischen Poleis in solchen oder ähnlichen
  Funktionen seit der Klassischen Zeit bekannt);
- Der syndikos bzw. ekdikos als defensor civitatis (ab 326 n. Chr. bis zum Ende der
  römischen Herrschaft in Ägypten);
- Der ekdikos als defensor ecclesiae (ab dem 5. Jh. n. Chr.);
- Darüber hinaus gibt es einige Erwähnungen von ekdikoi aus arabischer Zeit, deren
  genaue Funktion noch weitgehend ungeklärt ist;
- Keine offiziellen Amtsträger waren die syndikoi bzw. ekdikoi in ihrer Rolle als
  privatrechtliche Stellvertreter in Gerichtsangelegenheiten („Anwälte“), wie sie in
  Ägypten vom 1. Jh. v. Chr. bis in das 4. Jh. n. Chr. nachzuweisen sind.

Das Projekt ist als eine Untersuchung zu einem der wichtigsten Ämter der lokalen Verwaltungsstrukturen in der Spätantike angelegt, mit dem man gewöhnlich den Schutz der Armen und sozial Schwachen vor den Reichen und Mächtigen in Zusammenhang bringt, dem aber über die meiste Zeit seines Bestehens durchaus auch andere administrative Aufgaben zukamen. Insbesondere sollen dabei die verschiedenen Entwicklungsstufen und funktionalen Ausprägungen dieses zivilen Verwaltungsamtes und das Zusammenspiel von lokaler und reichsweiter Verwaltung des Imperium Romanum analysiert werden. Einer der Schwerpunkte wird dabei auf der Suche nach rationalen Strategien bzw. bürokratischen Strukturen (in Abgrenzung zur „patrimonialen Herrschaft“ im Sinne Max Webers), Interaktion und/oder Zusammenarbeit mit anderen Amtsträgern unterschiedlicher Hierarchiestufen, Kollegen, Personal sowie der Bevölkerung liegen. Ein weiterer Fokus betrifft die soziale und ökonomische Einbettung der Amtsträger in ihr jeweiliges Umfeld, die Dichotomien zwischen offiziellen Verwaltungsstrukturen und dem sich entwickelnden privaten patrocinium bzw. den (halb)offiziellen Strukturen der expandierenden kirchlichen Institutionen sowie die Untersuchung von languages of power aus der Sicht von Amtsträgern und privaten Bittstellern.

Ausgangspunkt und Grundlage für das Dissertationsprojekt bildet die dokumentarische Evidenz von rund 200 Papyri, Ostraka und Inschriften aus Ägypten, die uns für die betreffende Zeit einen so detaillierten Einblick in die täglichen Verwaltungstätig-
keiten, Kompetenzen und Aufgaben des defensor civitatis erlauben, wie es sonst für keine spätrömische Diözese der Fall ist. Die erste Aufgabe besteht daher auch darin, einen detaillierten Katalog dieser Belege zu erarbeiten. Ziel dieses ersten Teils des Dissertationsprojektes ist die Erarbeitung eines Modellfalles für die Untersuchungen zu den restlichen Teilen des Imperium Romanum. Ausgehend von der Arbeits-
hypothese, dass sich das Funktionieren der Verwaltung in den einzelnen Regionen des spätantiken Römischen Reiches nicht grundsätzlich voneinander unterschied, dienen die Ergebnisse dieser Vorarbeiten somit als Basis für den analytischen Teil der Dissertation und für vergleichende Studien mit Teilprojekten des NFN Imperium and Officium sowie dem Habilitationsprojekt von Dr. Claudia Kreuzsaler zur außergericht-
lichen Streitbeilegung im spätantiken Ägypten. Dazu werden vor allem die doku-
mentarischen Belege aus anderen Diözesen bzw. Provinzen, gemeinsam mit den literarischen und juristischen Belegen, auszuwerten sein. Letztere Zeugnisse, die vor allem im Codex Theodosianus und dem Justinianischen Corpus Iuris Civilis gesammelt sind, stellen eine ganz wesentliche Quelle zum Verständnis spätantiker Verwal-
tungsstrukturen im Allgemeinen und dem Amt des defensor civitatis im Besonderen dar. Abschließend wird der Frage nachzugehen sein, ob die verschiedenen Ausprä-
gungen des Amtes, wie sie in Ägypten greifbar werden, auch auf andere Provinzen des (Ost)römischen Reiches umgelegt werden können.

markus.resel@univie.ac.at