Durch die Klimakrise und den Boom von Wertbegriffen wie Nachhaltigkeit und Regionalität sind Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung stärker in den Fokus unseres Alltags gerückt. In der Werbung wird für regionale Produkte und klimafreundliche Transportwege geworben, neue Marken versprechen verantwortungsvollen Konsum und Online-Plattformen vermitteln zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Verbraucher*innen. Durch die Corona-Pandemie erhielten kontaktlose Vermarktungswege wie Selbstbedienungsläden und Automaten einen deutlichen Aufschwung.
Was an neuen und etablierten direkten Vermarktungsformen wie Bauernmärkten gleichermaßen auffällt, ist der häufige Bezug auf Familie bzw. die Selbstbezeichnung als Familienbetrieb. Ich möchte in meiner Studie einen Blick hinter dieses Label werfen, Logiken der Wirtschafts- und Lebensform des bäuerlichen Familienbetriebs begreifen. Anhand von aktuellen Beispielen und einer historischen Dimensionierung untersuche ich Veränderungen im Verhältnis zwischen sozialen Beziehungen und Ökonomie. Zudem gehe ich der Frage nach, welche Motivationen und Intentionen Menschen heute dazu bewegt, einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb zu führen. Was macht diese Lebens- und Arbeitsform für sie attraktiv? Und wie hängen Familie und Direktvermarktung zusammen?
Im Zentrum meiner ethnographischen Forschung steht die teilnehmende Beobachtung bei fünf Direktvermarktungs-Betrieben im oberösterreichischen Zentralraum. Außerdem führe ich narrative Interviews mit Familienmitgliedern bzw. Mitarbeiter*innen, um Erfahrungshorizonte, Handlungsmotive und biographische Hintergründe zu erschließen. Weiters werden historische Dokumente im Zusammenhang mit den Betrieben wie Fotografien oder familien- und hofgeschichtliche Aufzeichnungen einbezogen.
Im Untersuchungsraum, dem Bezirk Wels-Land, werden aktuell im Rahmen des LEADER-Programms der EU Maßnahmen zur Förderung der Direktvermarktung umgesetzt. Die Errichtung von „Dorfladenboxen“ oder die Bewerbung von Betrieben in Broschüren und online („Der Bauer hat’s“) verweisen auf veränderte Rahmenbedingungen und die Notwendigkeit regionaler, historischer und politischer Kontextualisierung des Gegenstands. Ich sehe mein Projekt als einen Beitrag, der Diskussionen über heutige ländliche Lebensformen, plurale Ökonomien, Veränderungen der Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung sowie Konzepte von Familie im Fach Europäische Ethnologie und darüber hinaus anregen soll.
e-Mail: thassilo.hazod@univie.ac.at
Web: https://euroethnologie.univie.ac.at/institut/personal/wissenschaftliches-personal/thassilo-hazod/
Institut für Europäische Ethnologie
Betreuerinnen: Brigitta Schmidt-Lauber und Margareth Lanzinger