Dissertationen

Die East India Company und der Opiumbauer. Die Kommerzialisierung einer Droge in Nordindien, ca. 1800-1900

Mag. Rolf Bauer

Opium war das wichtigste cash-crop Indiens im 19. Jahrhundert. Dass Opium als kolonialer Exportschlager im europäischen Gedächtnis kaum gespeichert ist, liegt wohl daran, dass die Droge fast ausschließlich nach China exportiert wurde. Bis zu 7.000 Tonnen jährlich verließen die Häfen von Kalkutta und Bombay in Richtung China. Zum Vergleich: Der UNO-Drogenreport von 2012 schätzt, dass gegenwärtig etwa dieselbe Menge – weltweit – produziert wird.

Fünfzehn Jahre nach der Schlacht von Plassey (1757) konnte die East India Company (EIC) das Monopol auf Opium durchsetzen. Sie vergab Lizenzen an Bauern, in denen festgehalten wurde, wer, auf welcher Fläche, wie viel Schlafmohn pflanzen darf (oder muss). Waren die Mohnkapseln reif, konnte man ihnen den kostbaren Saft entlocken, der von den Bauern an eine der zwei Opiumfabriken geliefert wurde. Dort machten tausende Arbeiter aus Rohopium rauchbares Opium (Chandū). Die Droge konnte nun nach China verschifft werden.

Opium wurde zu einer der größten Einnahmequellen Britisch-Indiens. Bis zu 20% des Haushaltsbudgets kamen aus dem Drogenhandel. Mit dem Verkauf in China konnte zudem das Liquiditätsproblem im Teehandel gelöst werden. Kurz: Opium war für die EIC enorm wichtig.

Ausgangspunkt der enormen Profite waren indische Bauern, die sich verpflichteten für die EIC Schlafmohn zu kultivieren – was für viele von ihnen mit gravierenden Nachteilen verbunden war. Die Arbeit war mühsam, die Bezahlung schlecht und konnte man nicht die gewünschte Qualität liefern, musste man mit lakonischen Strafen rechnen. Erstaunlich ist auch, dass während den Hungersnöten in den 1870er und den 1890 Jahren die Opiumproduktion weiter expandierte. In diesen Jahren kamen zwischen 10 und 29 Millionen Menschen ums Leben, die Preise für Nahrungsmittel schnellten nach oben und trotzdem kultivierten hunderttausende Bauern weiter Schlafmohn zu einem fixierten, sehr niedrigen Preis. Hätte sich ein gänzlich freier Opiumbauer in diesen Jahren des Hungers – nicht nur aus moralischen, sondern vor allem auch aus wirtschaftlichen Gründen – nicht dazu entschieden, Weizen oder ein anderes Nahrungsmittel anzubauen? Das Verhalten der Opiumbauern während dieser Dürren ist der deutlichste Hinweis, dass die EIC die Bauern kontrollieren, ihren Handlungsspielraum einschränken konnte. Aber wie? Ich denke, die Antwort liegt in der Gesellschaftsstruktur des ländlichen Indiens – dem Kastenwesen. Angehörige einer hohen Kaste, Rajputs etwa, hatten in ihrem Dorf mehrere entscheidende Rollen: Sie waren Dorfvorsteher, Grundbesitzer, Steuereintreiber und Mittelsmänner, wenn es um Geschäfte mit der EIC ging. Konnte sie die EIC für sich gewinnen, konnten sie die Verpachtung ihres Landes an die Bedingung knüpfen, dass darauf Schlafmohn gepflanzt wird. Ein Bauer von niederer Kaste hätte kaum eine Wahl gehabt, als sich den Bedingungen des omnipotenten Rajputs zu beugen.

In meiner Dissertation versuche am Beispiel der Opiumproduktion die Frage zu beantworten, wie eine britische Minderheit eine indische Mehrheit kontrollieren konnte. Den etwa 2000 britischen Opiumbeamten standen hunderttausende Bauern gegenüber. Ich suche nach den Schnittstellen, an denen die EIC in die lokalen Machtverhältnisse eingreift. Der Blick auf einzelne Dörfer ermöglicht mir Kooperationspartner zu identifizieren, über deren Macht die EIC im Dorf Kontrolle ausüben konnte.

e-Mail: rbauer@ifk.ac.at